MARION BALLIER, 55

NAMING UND WORDING

I'm having such a good time

I'm having a ball

(Don't stop me now)

If you wanna have a good time

Just give me a call

(Don't stop me now)

'Cause I'm having a good time

(Don't stop me now)

Yes, I'm havin' a good time

I don't want to stop at all, yeah.

– Queen, Don’t stop me now

GoF: Alles hat einen Namen, jeder Mensch, jeder Gegenstand, jedes Produkt. Du machst das professionell, Marion: Naming und Wording. Was genau meint das?

 

Marion: Ich nutze für meine Arbeit offiziell zwar die Begriffe „Naming und Wording“, aber noch lieber ist mir die Bezeichnung „Namensentwicklung“ oder englisch „name developement“, weil es ein strategischer Prozess ist. Ein strategischer und natürlich auch ein kreativer Prozess. Es fängt damit an, dass ich ein Briefing bekomme, das ich sehr oft erst einmal in Frage stellen muss im Hinblick auf die Zukunftsfähigkeit des angestrebten Namens, auf den Arbeitsumfang, auf die Machbarkeit, was zum Beispiel markenrechtliche Anforderungen angeht. Es geht nicht darum, sich den einen  Namen auszudenken, sondern so viele gute Namen zu produzieren, dass man am Ende eines Filterprozesses genügend Auswahl hat, um daraus den besten Namen zu finden. Es geht um Kreativität in großer Menge.

 

Wenn ein Name erst einmal bekannt ist und genutzt wird, ist Vielen nicht bewusst, wie viel Arbeit in der Entwicklung steckte, wie lang solch ein Prozess ist. Geht es manchmal auch ganz schnell – der eine top-Einfall und der Name ist da?

 

Das passiert, und es kann auch gut sein, dass die erste Idee funktioniert. Ich habe neulich einen Namen geträumt. In den meisten Fällen sagt der Anwalt aber „nein, es funktioniert nicht“, oder der Name bedeutet in irgendeiner Sprache etwas Unerwünschtes. Es passiert oft, dass der Name nicht funktioniert, den man zuerst favorisiert hat. Darum verbiete ich mir, mich zu sehr auf meine Favoriten zu fokussieren, weil es dann am Ende nur enttäuschend ist.

 

Was für Namen gibt es zum Beispiel, die in einer anderen Sprache gar nicht funktioniert haben? 

 

Das Paradebeispiel, das in jedem Presseartikel genannt wird, ist der Pajero von Mitsubishi. Klingt ja total cool und maskulin, klingt nach Ranch und Gelände, echt super. Aber man muss nur einmal in ein spanisches Wörterbuch schauen, „Pajero“ heißt nämlich im spanischsprachigen Raum „Wichser“ oder „Hirnwichser“, das kam da nicht so gut an. Also, da hat man offensichtlich den Job nicht richtig gemacht. Denn dieser ganze Prozess, der da noch dran hängt, nachdem du ein oder halt sehr viele Namen gefunden hast, bedeutet, dass alles in bis zu vierzig Sprachen markenrechtlich gecheckt wird. Das gehört einfach dazu.

Im Markenrecht gibt es eigentlich die „Fifty Shades of Grey“, es gibt viele Namen mit einem zu hohen Risiko, die der Anwalt streicht. Es gibt letztlich eigentlich keinen Namen, der gar kein Risiko hat, mir ist es nur ein einziges Mal in fast dreißig Jahren passiert, dass der Anwalt gesagt hat, ich habe nichts gefunden. Man muss dieses Risiko über Recherche und Überprüfung reduzieren, auch, indem man auf  Markeninhaber zugeht oder Verhandlungen anstrebt. Ich fühle mich manchmal wie die ewige Mahnerin, die immer sagt, dieses funktioniert nicht und bei jenem bitte Vorsicht. Dabei ist das eine Rolle, die ich eigentlich gar nicht mag, weil ich eher gern kreativ bin. Aber man muss sich der Realität einfach stellen, dass ganz, ganz viel nicht geht oder bereits vergeben ist. Dass Markeninhaber ihre Marke schützen wollen, ist ja vollkommen legitim, aber hinzu kommt, dass viele Menschen ihr Geld damit verdienen, Widersprüche einzulegen und zu schauen, ob sie irgendwo was durchsetzen können.

 

Showtime, Marion: Welche bekannten Markennamen sind denn von Dir?

 

Die meisten sehr bekannten Namen kommen aus meiner Zeit bei Interbrand, wo ich neunzehn Jahre lang Namensentwicklung betrieben habe. Da gibt es sowas wie den Porsche MACAN oder die Marke LANXESS, die Abspaltung von der Bayer AG, oder man kennt die ehemals Norddeutsche Affinerie, die jetzt AURUBIS heißt. Das sind ein paar größere Projekte. In meiner Selbstständigkeit habe ich sehr viel mit dem Mittelstand zu tun. Es gibt auch große Projekte, die ich zusammen mit Agenturen betreue, wo ich dann als externe Spezialistin in das Team gehe. Ich habe da zum Beispiel einen Namen für eine App für die Union Investment Real Estate entwickelt, die heißt RUN THIS PLACE. Es sind also nicht nur ganz kurze  Namen, sondern es sind manchmal auch längere Namen, fast wie Claims. Namen tendieren heute häufig dazu länger zu werden, weil es eben schon alles gibt, und weil die dann eine Geschichte erzählen. Einer meiner Lieblingsnamen ist zum Beispiel SON OF A TAILOR für einen Shirt-Hersteller, der sagt, mein Vater war Schneider, und daher weiß ich, wie man das beste T-Shirt schneidert. Das kann man sich gut merken, besser als etwas, dass aus vier Buchstaben zusammengebastelt wurde.

 

Ich mag ja auch das Mode-Label LFDY, LIVE FAST DIE YOUNG, obwohl die sich natürlich eher an Jüngere wenden. Du bist nun bereits zehn Jahre als Selbstständige am Markt, macht das mehr Spaß als die Festanstellung?

 

Das Offensichtlichste ist, dass ich mir meine Zeit einteilen kann. Aber auch, dass ich den Ort, an dem ich arbeite, selbst wählen kann und wie ich meinen Arbeitsprozess gestalte, der ja sowohl strategisch als auch kreativ ist. Ich sitze in der Regel nie acht oder zehn Stunden am Stück am Schreibtisch, sondern mache zwischendurch einfach komplett andere Sachen. 


„Man muss die Jugendsprache kennen, aber man muss schauen, ob man darauf aufspringt. Insofern ist Erfahrung für mich essenziell.“


Mal eine Wäsche waschen, im Garten was umgraben oder einfach mal rausgehen, wiederkommen und dann weiterarbeiten. In einer festgelegten Teamstruktur und in Agenturräumen, womöglich in einem Großraumbüro, funktioniert nicht. Das heißt also im Kern, dass es diese Flexibilität ist, die ich habe. Ich brauche das, und es ist einfach das größte Glück.

 

Der Auftrag, das Timing und der Anspruch bestimmen Deinen Arbeitstag. Freie Zeiteinteilung ist ja ohnehin gerade ein großes Thema, auch in Verbindung mit einer neuen Anspruchshaltung der nachrückenden Generation am Arbeitsmarkt. Welchen Stellenwert hat Erfahrung in Deinem Job? Kann nicht auch ein Zwanzigjähriger einen tollen Namen finden?

 

Wenn es darum geht, für Zwanzigjährige einen Namen zu finden, dann hole ich mir auch gerne einen Zwanzigjährigen dazu. Denn die Sprache ist über die Generationen hinweg sehr unterschiedlich, wobei auch die Sprache der Jüngeren vielen Wandlungen, Trends und kurzfristigen Hypes unterliegt. Mehr als die Sprache von Menschen, die schon etwas älter sind. Die Begriffe „Jugendsprache“ oder „Jugendwort“ mag ich aber ohnehin gar nicht. Wenn es zum Jugendwort geworden ist, ist es ja schon gar nicht mehr in. Es ist ein Spannungsfeld: Generell ist es im Branding wichtig, sich auf Sprache und ihre Entwicklung einzulassen, aber ein Markenname soll am Ende langfristig bestehen. Man muss Trends gegenüber vorsichtig sein, man muss vermeiden, sich aus kurzfristigem Kalkül anzubiedern. Ja, man muss die Jugendsprache kennen, aber man muss schauen, ob man darauf aufspringt. Insofern ist Erfahrung für mich essenziell, weil ich den Überblick habe, und weil ich weiß, wen oder was ich mir zur Hilfe holen kann, wenn ich irgendetwas brauche.

 

In meiner Wahrnehmung wird alles immer schnelllebiger, aber ehrlicherweise haben unsere Eltern das auch schon gesagt. Nichtsdestotrotz ist Vieles oberflächlicher geworden, Trends und Hypes werden gerade in Social Media gepusht und finden dann oftmals Eingang in den allgemeinen medialen Diskurs. Hat man überhaupt noch die Zeit, Namen für die Ewigkeit zu entwickeln, und macht es überhaupt noch Sinn, wenn alles so schnelllebig ist?

 

Das kommt auf die Branche an. Im B2B-Bereich im Mittelstand wie auch in Konzernen wird vielleicht mal irgendein Name obsolet, weil man fusioniert oder weil etwas aufgekauft wird. Aber letztlich schafft man mit einem Markennamen einfach ganz viel Substanz. Er ist ein Identifikationsanker für Mitarbeiter und Kunden, er gibt Orientierung, er ist ein Qualitätssiegel und so weiter. Da geht es nicht ohne einen langfristig tragbaren Namen, das funktioniert nicht. Ich kann auch keinen Börsengang ohne Namen machen. Ich kann keine Firma neu gründen ohne Namen. Da ist das ganz, ganz wichtig. 


„Die sind unter dreißig, wollen Karriere machen und bleiben nicht so lange in einer Position. Die wollen einen Namen, der sich in erster Linie schnell verkauft.“


Manches kommt und dann verschwindet es wieder, wie zum Beispiel im App-Bereich. Das ist auch in Ordnung, das sind kurzlebige Sachen, die sich überholen und dann gibt es etwas Neues. Trotzdem muss man irgendwo ein großes Ganzes schaffen als Basis, man muss es finden können, sich damit identifizieren können, es kommunizieren können. 

 

Sind Deine Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner eigentlich im gleichen Alter wie Du, oder hat man es da auch viel mit Jüngeren zu tun? Und wenn ja, macht das Alter einen Unterschied in der Zusammenarbeit?

 

Meine Ansprechpartner im B2B-Bereich sind mehrheitlich ungefähr in meinem Alter, so zwischen fünfundvierzig bis sechzig, da bin ich also mittendrin. Bei Konsumgütern sind es oft Produktverantwortliche, also nicht die Kommunikationschefs, Marketingleiter oder sogar Geschäftsführer und Inhaber, die sind natürlich älter. Die Produktmanager in den Konsumgüterunternehmen sind jünger. Die sind unter dreißig, wollen Karriere machen und bleiben nicht so lange in einer Position. Die wollen einen Namen, der sich in erster Linie schnell verkauft, deshalb gibt es auch viel Marktforschung. Der Erfolg des Produktes ist kurzfristiger, und insofern muss man sich darauf einstellen. 

 

Wie offen sind sie Dir gegenüber, nehmen sie Dich als erfahrener wahr oder sagen die „oh Gott, jetzt kommt die wieder mit ihren Ansprüchen, Bedenken und dem ganzen juristischen Rechercheprozess“? 

 

Also, wenn ich anfange, von Markenrecht und von den Schwierigkeiten rede, dann komme ich natürlich ein bisschen älter und seriöser rüber, aber ansonsten habe ich damit kein Problem. Das ist eigentlich vollkommen altersunabhängig, auch in der Zusammenarbeit mit den Agenturen. Da sind auch oft die Projektmanagerinnen oder Projektmanager jünger als ich, und ich habe noch nie Schwierigkeiten erlebt. Vielleicht haben die Schwierigkeiten mit mir, die ich dann nicht bemerkt ich habe! (lacht) 

 

Werden eigentlich Männer und Frauen gleichermaßen für solche Namensentwicklungen angefragt? 

 

Man sagt ja, dass der gesamte Bereich Sprache eher eine weibliche Sache ist. Ich habe den Eindruck, dass es in der Branche ziemlich ausgeglichen verteilt ist und dass es keine geschlechtsspezifischen Unterschiede gibt. Dass jemand meint, Männer können besser Autos benennen, das habe ich noch nicht gehört. Vielleicht ist es so, dass man der Frau eher die Sprachkompetenz und die Kreativität zutraut und dem Mann das technische Verständnis, dann gleicht sich das wieder aus. Ich habe noch keine Erfahrung damit gemacht, dass man mir das nicht zutraut. Man wird bei etwas komplizierteren Produkten natürlich mit allen technischen Details bombardiert und muss dann irgendwann sagen: Stopp, ich muss es nicht bauen können. Ich muss es auch nicht chemisch zusammensetzen können. Ich muss verstehen, was daran gut ist, was man damit macht. Das ist die Essenz, die nachher im Namen rüberkommen muss. Das war bei AURUBIS zum Beispiel der Fall. Da kann man mir über Kupfer ganz viel erzählen, über die chemische Zusammensetzung und den Prozess und so weiter. Aber an einer Stelle hat einer der Vorstände gesagt: Kupfer wird „rotes Gold“ genannt. Dann kommt man zu aurum rubrum und damit dann auf aurubis, das steht dann für rotes Gold. Das ist auch die Geschichte für die Presse, und es funktioniert. Dafür muss ich nicht verstehen, wie der ganze Schmelzprozess abläuft.

 

Offenheit, Neugierde und eine breite Allgemeinbildung können helfen.

 

Total. Man muss viel querlesen, man muss alles querlesen, denn ganz oft ist es so, dass, wenn ich mich nur mit dieser Materie beschäftige, wo schon alles abgegrast ist, ich mal einen Schritt heraus machen muss. In Bilder, Metaphern, Transfers gehe. Da spielt wieder die Erfahrungen eine große Rolle, weil ich natürlich sagen kann, das habe ich doch schon mal so oder so gelöst. Beispielsweise, wenn ich eine Sonnencreme habe, die besonders gut schützt, dann nützt es nichts, wenn ich in diesem ganzen Sonnenkosmos verharre, sondern mal gucke, was gibt es bei Versicherungen oder was gibt es unter dem Aspekt des Schutzes und kann ich das irgendwie transferieren.

 

Ich komme auch deswegen auf die Allgemeinbildung, weil es oft heißt, dass bei den nachrückenden Generationen in der Bildung weniger Wert auf ein breit gefächertes Wissen gelegt wurde. Das Bildungssystem gibt eher eine frühzeitige Spezialisierung vor.

 

Hm, die Erfahrung habe ich nicht gemacht. Ich habe aber auch nicht mit so viel Jüngeren zu tun, die ganz neu irgendwo reinkommen. Die, mit denen ich zu tun haben, die tragen Verantwortung für die Produkte oder für die Kommunikation im Unternehmen, die sind also schon ein Stück gegangen. Ich habe auch in meinem privaten Umfeld ganz viele junge Nachbarn, aber das habe ich nicht beobachtet. 

 

Mir ist aufgefallen, dass auf Deiner Website nur Dein Name und „Naming und Wording“ steht, das ist ja recht zurückhaltend.

 

Ja, genau, da ist nur meine Visitenkarte. Ich werde das Ganze demnächst noch ein bisschen anreichern mit Text und einem Foto, aber viel mehr möchte ich nicht. Allerdings bin ich, das weißt Du auch, sehr verhalten, mich zu exponieren, auch auf Social Media.


„Es passiert vielleicht, dass man nicht mehr die Aufmerksamkeit bekommt, die auf Äußerlichkeiten bezogen ist, die man mit dreißig bekommen hat. Aber im beruflichen Kontext sehe ich das überhaupt nicht.“


Ich habe den Luxus eines großen Netzwerks und vieler Menschen, die mich freundlicherweise weiterempfehlen, sodass ich sehr gut zurechtkomme. Aber ich weiß auch, dass ich da mutiger werden muss und möchte das auch angehen. 

 

Es heißt, dass Frauen in einem Alter ab fünfzig, sechzig anfangen unsichtbar zu werden. Eine andere Gesprächspartnerin sagte einmal, „der Raum teilt sich nicht mehr vor Verzückung, wenn Du ihn betrittst“.

 

Ich hätte jetzt eher gedacht, dass das auf den privaten Kontext bezogen ist. Also, mal abgesehen davon, dass es auch nicht toll ist, wenn einem hinterhergepfiffen wird, passiert es vielleicht, dass man nicht mehr die Aufmerksamkeit bekommt, die auf Äußerlichkeiten bezogen ist, die man mit dreißig bekommen hat. Aber im beruflichen Kontext sehe ich das überhaupt nicht. Ganz im Gegenteil. Weil man doch eine gewisse Selbstsicherheit hat, ein Standing, eine Meinung. Ich habe nicht die Erfahrung, dass man nicht mehr gesehen wird. Andersherum bei Jüngeren: Wenn sie kompetent sind, werden sie nicht auf ihr Aussehen reduziert. Ich habe mit ganz tollen jungen Frauen um die dreißig zu tun, bei denen mir der Mund offen steht und wo ich sage: Mensch, Sie haben eine so tolle Ausstrahlung und sind so souverän, wie Sie kommunizieren, wie sie mit den Kunden umgehen. Von denen kann ich noch etwas lernen. 

 

Ich habe ja selbst auch Töchter, und ich finde es wirklich toll und beruhigend, dass immer mehr Frauen Frauen helfen. Und das ohne abgrenzendes testosterongesteuertes Gehabe. Es gibt auch immer mehr Frauennetzwerke, jüngst hat die Handelsblatt Media Group ein Wirtschaftsnetzwerk für Frauen gegründet. Du bist doch auch in mindestens einem, oder? 

 

Ja, ich bin in einigen, und manchmal wird es auch ein bisschen zu frauenlastig (lacht). Es ist natürlich schön, weil Frauen einander wirklich unterstützen. Da haben sich schon tolle Freundschaften entwickelt, die dann auch wieder zu geschäftlichen Möglichkeiten geführt haben. Der Verband deutscher Unternehmerinnen setzt sich in Berlin auch politisch für Belange von Frauen ein. Der ist sehr stark vernetzt, der wird gehört und auch gefragt. Das schätze ich sehr. Die Frauennetzwerke sind super, aber man muss auch gucken, dass man dann auch mal wieder aus dieser Frauenwelt heraustritt und schaut, wo es noch gemischte Netzwerke gibt. Das habe ich gerade gemacht. 

 

Apropos gemischt, ich war letztens beim Spinning, und in einigen Kursen sind auch Ältere dabei, teilweise älter als ich. Als das Tempo dann angezogen wurde, meinte eine der Teilnehmerinnen „gar nicht schlecht für unser Alter“. (Marion verzieht schmerzhaft das Gesicht). Ich danke Dir für diesen Gesichtsausdruck. Ich dachte in dem Moment nämlich auch, dass sich viele Ältere mit solchen Aussagen alt machen. Da kommt mir dann dieser stereotype Begriff der „rüstigen Alten“ in den Sinn. 

 

Das kenne ich auch, und das nervt mich echt, wenn Leute sowas sagen. Das macht mich alt. Ich lebe zum großen Teil so, wie ich mit Ende dreißig gelebt habe. Mein ganzer Lebensstil ist von der Haltung her irgendwie jünger. Ich finde auch diese ganze Kategorisierung Ü50, Ü60, Ü-irgendwas anstrengend, überflüssig und auch falsch. Es geht doch mehr um Lebenswelten. Das ist wie bei einem Abi-Treffen. Da gibt es ja solche und solche. Wir sind alle im selben Alter, wir sind alle Ü50. Aber ich würde sagen, da gibt es locker fünf, sechs, sieben Kategorien an völlig unterschiedlichen Lebensmustern und Lebensentwürfen. Es nervt mich ein bisschen, das immer auf eine Zahl reduziert wird. Ich habe Freunde, die sind Mitte sechzig, die sind aber sowas von cooler drauf als manche Vierzigjährige.


„Es geht nicht um Alterskohorten, sondern um Lebenswelten. Ich muss nicht altersgerecht, sondern bedürfnisgerecht angesprochen werden.“


In einer urbanen Lebenswelt in der Großstadt ist das dann auch noch einmal etwas anderes, als wenn man weiter draußen in einem Einfamilienhaus wohnt und eher zurückgezogen ist. Bei mir im Haus sind drei WGs mit Leuten, die alle unter dreißig sind und mit denen ich ständig kommuniziere. Die behandeln mich nicht wie die Tante, also so, wie wir früher die Freunde der Eltern angeguckt haben und sie Tante und Onkel genannt haben. Das ist einfach nicht mehr so, vor allem, wenn du dich nicht tantig benimmst, wenn du nicht urteilst, wenn du dich nicht drüber stellst und sagst „ich weiß alles besser“, belehrst und vor allen Dingen nicht nur kritisierst. In der Stadt hat man viel mehr Berührungspunkte mit Menschen, es ist alles schneller, du kriegst viel mehr mit, du hörst Gespräche, wenn du offen dafür bist. Natürlich gibt es auch in den Städten Menschen, die dicht machen, nicht zuhören und nicht verstehen wollen und mit dem Finger auf die jungen Leute zeigen. Dann kann es nicht funktionieren. Ganz furchtbar finde ich, wenn gesagt wird, die oder der ist alt, ohne dass man mal irgendwo in den Dialog tritt. Das Ganze kommt von zwei Seiten. 

 

Lebenswelten statt Alterskohorten? Dann kann man in bestimmten Fällen eine Fünfundzwanzigjährige und eine Sechzigjährige in einer Kommunikationsstrategie aufgrund ihrer Lebenswelten unter einen Hut bringen?

 

Wenn ich mir die Produkte ansehe, die ich konsumiere, jetzt mal abgesehen von der einen oder anderen Faltencreme: Ich fahre Smart, ich habe alles von Apple, und die Mode, die ich kaufe, ist ganz bestimmt nicht Ü irgendwas. Das sind Marken, die im besten Sinne alterslos sind und bei denen ich eher auf Qualität achte, als irgendwie auf eine Alterszugehörigkeit. Wenn man nicht jeden Trend mitmacht, dann ziehe ich mit dreißig das Gleiche an wie mit siebzig. Ich fang ja nicht plötzlich an, mich nur noch in gedeckten Farben zu kleiden. 

Meine Mutter und ihre ganze Generation war mit sechzig einfach schon gesetzter, sagen wir es mal so. Gefühlt älter, nicht nur aus Sicht des  Kindes, sondern auch wenn man Fotos anguckt. Das ganze Lebensmodell war ein anderes, aber das verschiebt sich immer weiter nach hinten. Wir haben heute ganz andere Rollenvorbilder in den Medien präsent. Wenn man früher mit drei Programmen aufgewachsen ist, wo im Fernsehen etwas vorgelebt wird wie in den achtzigerjahre-Familienserien, das war schon sehr, sehr konservativ. Da haben wir heute allein schon medial ganz andere Möglichkeiten, neue Identifikationsfiguren zu finden. 

Es ist einfach so, es geht nicht um Alterskohorten, sondern um Lebenswelten, und dann stört es mich auch nicht, wenn in der Kommunikation der Dreißigjährige abgebildet wird, wenn mich das Ganze anspricht, meine Bedürfnisse anspricht. Ich muss nicht altersgerecht, sondern bedürfnisgerecht angesprochen werden.

 

Marion Ballier, 55, studierte in Deutschland und England Internationales Management und arbeitete danach neunzehn Jahre bei der renommierten international tätigen Markenagentur Interbrand im Bereich Namensentwicklung. Vor zehn Jahren hat sie sich selbstständig gemacht und ist seitdem für verschiedene Unternehmen und Agenturen aus dem In- und Ausland tätig.


Queen, Kaffee und Kreuzworträtsel

Lieblingssongs/-InterpretInnen:

Am Morgen ist „Don’t stop me now“ von Queen unschlagbar.

Lieblingsbuch/-Podcast:

Ich habe kein Lieblingsbuch, ich liebe Bücher;

Apokalypse und Filterkaffee.

Lieblingsfilm/-Serie:

Hauptsache spannend, gerne auf wahren Tatsachen beruhend.

Lieblingsmarke:

Äääääh, weiß nicht.

Lieblingsreiseziel:

Südafrika und Italien.

Lieblingsessen:

Hauptsache herzhaft.

Lieblingsspruch:

Meine Freundin Frida sagt immer: „Nach doof kommt gut“.

Unterirdisch finde ich …

… Geiz in jeglicher Form.

Ich chille am besten, wenn ich …

… vertraute Menschen um mich habe … und beim Kreuzworträtseln.

Meine größte Freude ist es, …

… wenn etwas Gutes funktioniert.


©Bild: Claudio Fonte auf Unsplash


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