„Was tun Sie“, wurde Herr K. gefragt, „wenn Sie einen Menschen lieben?“
„Ich mache einen Entwurf von ihm“, sagte Herr K., „und sorge, daß er ihm ähnlich wird.“
„Wer? Der Entwurf?“
„Nein“, sagte Herr K., „Der Mensch.“
(Bertold Brecht, Geschichten vom Herrn Keuner – Wenn Herr K. einen Menschen liebte)
Unsere Gedankenwelt im Heute begrenzt unseren Horizont für die Zukunft. Wir haben ein Bild von etwas und streben danach, dieses Bild zu erfüllen. Das betrifft auch das Bild vom Alter: Wir sehen die uns umgebenden älteren Menschen und meinen, dass wir selbst dieses Bild in Zukunft erfüllen werden (müssen). Was aber, wenn die Bedürfnisse älterer Menschen gänzlich andere sind – oder sein können?
Die Zukunft des Alters wird umgekrempelt: Die Babyboomer kommen ins Pensionsalter und sind so aktiv, technologieaffin wie keine Generation zuvor. Gleichzeitig wird das biologische Alter immer weiter hinausgezögert. Diese Entwicklungen analysiert die Studie „Digital Ageing“ vom Gottlieb Duttweiler Institute und von Swiss Life:
„Für diesen gesellschaftlichen Wandel sorgen die Babyboomer im Pensionsalter: eine geburtenstarke Generation, die so aktiv, gesund und technologieaffin ist wie keine zuvor. … Die Digitalisierung der Gesellschaft schreitet mit großen Schritten voran und verschont dabei keinen Lebensbereich. Auch das Alter, üblicherweise eher als etwas Trendresistentes angesehen, wird gründlich umgekrempelt. … „Digital Ageing“ – altern in einer digitalen Gesellschaft – verstehen wir als eine soziokulturelle Entwicklungsstufe des Alterns, die in der westlichen Welt auf das Altern in einer industriellen Gesellschaft folgt. Der wohl wichtigste Aspekt ist, dass sich „alt sein“ als Konzept in der Auflösung befindet. Die fixe Abfolge und klare Definition der Lebensabschnitte der industriellen Gesellschaft: Ausbildung, Arbeit und der Gesellschaftliche Rückzug in Form der Pensionierung, wird je länger je mehr der Vergangenheit angehören. Dabei spielt nicht nur technologischer Fortschritt eine Rolle, sondern, damit verbunden, auch Wohlstand und demographische Veränderungen. […]“
„Eine wichtige Möglichkeit zu entscheiden, wie wir mit unserer zukünftigen Lebenszeit umgehen wollen, ist zu sehen, was ältere Menschen heutzutage brauchen und wünschen. Wie man seine zukünftigen Bedürfnisse einschätzt, hängt also stark vom Bild ab, das man von älteren Menschen hat. … Um sich sein zukünftiges Leben möglichst realistisch vorstellen zu können, braucht es viel mehr als nur ältere Vorbilder. Es ist eine mentale Simulation nötig, in der man bestehende Altersbilder mit dem Wissen über das eigene Ich und den Erwartungen, wie man selber und die Welt in Zukunft sein werden, kombiniert. Das ist ein aufwändiger Prozesse den die Wenigsten besonders genau durchführen. […]“
„Mehr Selbstverantwortung und weniger Routine führen dazu, dass Menschen mehr Stimulation erfahren und dadurch mental flexibler bleiben. Die „Regel Ager“ und „Ageless Ager“ finden sich in der Welt von morgen nicht nur besser zurecht, sondern sie bleiben – aufgrund der Stimulierung durch eine solche Welt – auch länger Wachstumsorientiert, altern also mental weniger schnell.
Durch mehr wachstumsorientierte ältere Menschen löst sich der Begriff „Alter“, so wie wir ihn kennen, langsam auf. … Durch die Auflösung des Alters fallen Normen und Erwartungen weg, die für ältere Menschen heutzutage noch relevant sind. Die Frage „Bist Du nicht ein bisschen für alt für sowas?“ taucht seltener auf. Wie wir in einer digitalen Gesellschaft alt werden, hängt immer weniger von Kultur und Natur ab und immer mehr von der individuellen und kollektiven Fantasie. […]“
Unternehmenskommuniktaion für die Zielgruppe 50plus sollte diese Entwicklung reflektierten – oder bestenfalls vorwegnehmen. Denn es reicht längst nicht mehr, die Zielgruppe in Anzeigen nun nicht mehr nur Fahrrad fahrend, sondern Kite surfend abzubilden. Es geht um Kommunikation auf Augenhöhe, um Verständnis und eine aktive Rolle bereits bei der Entwicklung von Produkten und Services bis hin zu deren Vermarktung. Es geht um den Dialog von 50plus in den Marketingabteilungen und Werbeagenturen mit 50plus da draußen: Wenn sich der Begriff „Alter“ auflöst, werden vor allem diejenigen gefragt sein, die in den entscheidenden Positionen sitzen. Die Frage dort lautet dann nicht „Bist Du nicht ein bisschen zu alt für sowas?“, sondern „Bist Du denn schon alt genug für sowas?“.
©„Digital Ageing“, GDI Gottlieb Duttweiler Institute, Swiss Life, 2015 | ©Bild: Yannes Kiefer auf Unsplash