In Zeiten des Fachkräftemangels sind Mitarbeitende jenseits der 50 zunehmend attraktiv. Diversity und demografische Entwicklung treiben den Trend. Die Praxis zeigt: Ältere Mitarbeitende bereichern Unternehmen mit wertvollen Skills.
Woran merkt man, dass man alt wird? Wenn andere Fahrgäste in der U-Bahn einen Sitzplatz anbieten? Wenn die Kellnerin in der Loungebar zum förmlichen "Sie" ansetzt? Oder wenn der Jobwechsel plötzlich ungewohnt schwer wird und sich partout kein objektiver Grund dafür finden lässt?
Letzteres auf jeden Fall. Wissenschaftler der Universität Gent haben in einer Feldstudie nachgewiesen, dass die Chancen von Bewerbern auf ein Vorstellungsgespräch um satte 48 Prozent sinken, wenn diese älter als 50 Jahre alt sind. Das nennt man dann wohl Altersdiskriminierung in Reinform.
Ähnliches ließ eine Studie von Ferda Ataman, Antidiskriminierungsbeauftragte des Bundes, Mitte Dezember durchblicken. Danach nimmt rund ein Drittel der Befragten ältere Menschen als Blockierer wahr und fordert, dass sie berufliche und gesellschaftliche Rollen aufgeben sollten, um Platz für Jüngere zu machen.
[…] Denn immer mehr Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber entdecken ihr Herz für ältere Arbeitnehmende. Und wenn nicht gleich ihr Herz, so zumindest die Notwendigkeit, ihre Teams altersdiverser aufzustellen und dem demografischen Wandel möglichst viele positive Seiten abzugewinnen. […]
Große Expertise, langjährig aufgebauter Erfahrungsschatz und eine gute Portion Gelassenheit wird den Ü50 gerne zugeschrieben. Thomas Lüdeke, Managing Partner PRCC Personalberatung: „Lebenserfahrung ist wichtig, gerade in Zeiten mit vielen Veränderungen. Hinzu kommen ein gewisses diplomatisches Geschick sowie das Aushalten von Druck und Veränderungen.“ Was außerdem für ältere Bewerber spreche: „Vielen geht es nicht (mehr) um schnelle Aufstiegsmöglichkeiten, sondern um eine sinnvolle Aufgabe im Team.“
Auch das lange Zeit zäh verteidigte Klischee, ältere Mitarbeiter seien weniger digitalaffin, verpufft in immer mehr Köpfen von Personalern und HR-Managern. Stattdessen wächst die Erkenntnis, dass digitale Expertise keine Frage des Alters, sondern der Bereitschaft zu lebenslangem Lernen ist – und dass es digitale Nullchecker auch unter Jüngeren in nennenswerter Zahl gibt. […]
Laut Agenturverband GWA waren 2021 gerade mal sieben Prozent der deutschlandweiten Agenturmitarbeitenden über 55 Jahre alt. Das kann man eine Herausforderung nennen – oder ein Armutszeugnis. Immerhin ist das Problem mittlerweile erkannt. Hatten Werbedienstleister die Best Ager bislang, wenn überhaupt, nur als attraktive Konsumentenzielgruppe auf dem Schirm, wollen sie die "Alten" jetzt auch als Mitarbeitende gewinnen. Ihre Liebe zur einst gerne auch mal als „Lehmschicht“ verschmähten Ü50-Gruppe ist voll entbrannt.
Christian Rätsch, demnächst scheidender CEO bei Saatchi & Saatchi, brachte im Dezember auf LinkedIn sogar eine Ü50-Quote ins Gespräch. Zwar relativierte er die Idee kurz darauf als „rhetorisch“. Doch das Thema ist gesetzt, und seine Thesen sind schlüssig. Vier Hürden müssten genommen beziehungsweise Klischees beerdigt werden: Ü50 würden doch nur auf die Rente schielen, Ü50 seien zu wenig leistungsbereit, und Ü50 kämen schnell an ihre Grenzen. Zudem, so Rätsch, müsse die „Opferhaltung“ bei den Alten weg. „Wer viel im Leben erlebt hat, muss sich dafür nicht entschuldigen“, findet der 50-Jährige.
Schon länger begriffen hat das Katja Brandt, CEO DACH bei Mindshare. Bei der Agentur liegt der Anteil der über 50-jährigen Mitarbeitenden schon bei 17 Prozent und sei „in den letzten vier Jahren kontinuierlich gestiegen“, so Brandt. Innerhalb der Group M, zu der auch Mindshare gehört, sei Altersdiversität eines der „zentralen Themen“. Ein wichtiges Instrument seien Teilzeit- und flexible Arbeitszeitmodelle. „Sie ermöglichen jungen Eltern, Familie und Karriere zu verbinden. Und sie helfen Menschen über 50, sich um ihre pflegebedürftigen Angehörigen zu kümmern oder, wenn sie das wollen, beruflich etwas kürzer zu treten.“ […]
©Text: HORIZONT, 08.02.2023 | ©Foto: My Life Through A Lens auf Unsplash