Meine Oma ist ’ne alte Umweltsau

 

„Scherz ist die drittbeste Tarnung. Die zweitbeste: Sentimentalität. Aber die beste und sicherste Tarnung ist immer noch die blanke und nackte Wahrheit. Die glaubt niemand.“

(Max Frisch, Biedermann und die Brandstifter)

 

 

Ist das nicht schön: Ein Mehrgenerationenhaus in grüner Idylle, die Kleinen machen ihre ersten Schritte über das Kopfsteinpflaster des gemeinsamen Hofes, die Teens spielen brav Verstecken, während die älteren Geschwister hinterm offenen Sprossenfenster frohgemut fürs Studium lernen und die Mamas und Papas Zeit haben, sich rotwangige Äpfel von den Bäumen zu pflücken, weil die Omas und Opas die Socken der Familie stopfen oder die Dreiräder der Kleinen pimpen … HOW DARE YOU!, ruft Greta.

 

Das Haus befindet sich direkt an der Frontlinie eines aktuell eskalierenden Generationenkonflikts. „Zu den Sätzen des Jahres gehört unzweifelhaft das „How dare you!“ von Greta Thunberg. Die Worte schoss sie im September dem UN-Klimagipfel in New York vor den Bug. Wie ungerecht der Vorwurf auch gewesen sein mag, sie trieben den Generationenkonflikt auf die Spitze, der schon seit Jahren schwelt. Die „alten weißen Männer“ haben sich als Redewendung eingebürgert, die „Boomer“ und die „Alten“ sind zur Zielscheibe einer wachsenden Jugendbewegung geworden.“ 

 

In dem Haus wird nicht in trauter Gemeinsamkeit am Küchentisch gesungen, denn im Radio läuft der WDR-Kinderchor mit „Meine Oma ist ’ne alte Umweltsau“, den die Verantwortlichen für eine lustige Idee hielten (um sich bei der jüngeren Generation anzubiedern). Dass das Biedermeierliche in den Genen der Öffentlich-Rechtlichen steckt, mag deren Urteilsvermögen beeinflussen, aber hier wird die Grenze zwischen Scherz und blanker Wahrheit aufgelöst und Öl ins Feuer gekippt. Das Haus brennt. „Obgleich sich die Protagonisten und Fürsprecher der jungen Generation für besonders sensibel halten, was Diskriminierungen angeht, brennen in der Auseinandersetzung mit der älteren Generation mitunter ihre Sicherungen durch.“

 

Generationenkonflikte gab es schon immer, und die Reibungen waren auch nicht immer nur konstruktiv. Das Neue löst das Alte ab, bestenfalls aber in der Inkorporation des zu Bewahrenden: Nicht die Asche weitergeben, sondern die Flamme. Aber heute befeuern signifikante äußere Einflüsse die Explosionskraft: „Der zeitgenössische Kampf Jung gegen Alt geht, jedenfalls in Europa, weit tiefer, weil nur hier drei Zündherde zusammenfallen: die demographische Entwicklung, die eine alternde Gesellschaft aus Sicht der Jugend als altersschwach, beharrend und träge erscheinen lässt; die digitale Revolution, die Erwachsene ins Reich der Ahnungslosen verbannt, der Jugend hingegen das Privileg des technischen und kommunikativen Durchblicks gibt; und schließlich, als das politische Explosiv, der Klimawandel, der von der Jugend als existentiell wahrgenommen wird und deshalb eine revolutionäre Antwort verlangt.“

 

Aus der Perspektive der Jüngeren: Zu viel falsch gemacht, zu sehr beharrend auf einem nicht mehr akzeptablem Status quo, zu wenig bereit, sich den Forderungen der Zeit zu stellen – oder wenigstens dem Löschtrupp den Weg frei zu machen, wenn die Welt an allen Ecken brennt. „Jugendliche treten als moralische Erziehungsberechtigte auf, die Erwachsene wie verstockte Kinder behandeln und dazu auffordern, doch endlich aufzuwachen. Wie könnt ihr es wagen! – das sagten früher die Erwachsenen, wenn Kinder aufbegehrten. Jetzt sagen es die Kinder, weil die Erwachsenen so passiv wirken.“

 

Aber sind die „Alten“ tatsächlich so verstockt? Woran wird das bemessen? Ganz sicher nicht an der Geschwindigkeit, mit der auf dem Handy getippt wird. Daran, dass eine gewissen Altersstarrheit und körperliche wie geistige Unbeweglichkeit nunmehr nicht als Angst vorm Umfallen, sondern als aktive Geste gegen das eigentlich Richtige gedeutet wird? „Die „Alten“ und die Babyboomer wiederum rennen dieser Welt, die ihnen außer Kontrolle gerät, ungläubig hinterher: Sind sie nicht selbst die Erben einer revolutionären Jugend, die Deutschland endlich gründlich beibrachte, wie Demokratie und Wachstum nachhaltig funktionieren?

 

Im Kampf der Generationen ist deshalb, wie bei vielen anderen Gelegenheiten, die Rückkehr des 19. Jahrhunderts zu beobachten. Viel schwieriger als die Entscheidung zwischen dieser oder jener Technik, zwischen diesem oder jenem Lebensstil ist die politische Orientierung inmitten der ideologischen Versuchungen, die dabei eine Rolle spielen.

Die junge Generation hat deren schwierigste Herausforderung noch vor sich: Wie kann inmitten technischer und ökologischer Revolutionen die Freiheit von Wirtschaft und Gesellschaft bewahrt werden? Die Voraussetzungen dafür sind (dank den Erwachsenen!) am Anfang dieses Jahrhunderts weit besser als am Anfang des vergangenen. Wird es also gelingen? Zumindest eines lässt sich heute schon sagen: Das Eindreschen auf die „Alten“ ist kein gutes Omen.“

 

Die blanke und nackte Wahrheit gilt generationenübergreifend. Zu wünschen wäre, dass alles Biedermeierliche überwunden wird, damit gemeinsam an Lösungen gearbeitet wird.

 

©Text: FAZ, 30.12.2019 | ©Bild: Sushil Nash auf Unsplash