Die Welt wird immer digitaler, das Analoge schwindet. Damit erodiert aber auch das Fundament, auf dem viele SeniorInnen stehen, die ihr Leben offline gestaltet haben (während ich dies schreibe, merke ich, wie undenkbar das heute erscheint). Was ist mit den gut 16 Millionen BürgerInnen, die noch nie im Internet waren? Die Gruppe ist vielfältig: Wissbegierig, skeptisch, oder unerfahren. Lebenslanges Lernen erreicht damit eine neue Dimension: Die des Überlebens.
Die Gruppe ist vielfältig, wissbegierige, skeptische, unerfahrene. Was treibt sie, was bewegt sie, wo liegen ihre Chancen in einer Welt, in der sich sich ihre Gewissheiten komplett aufzulösen scheinen? Hier verschiedene Ansätze dazu in „Offline – und abgehängt?“:
„Die Wissbegierigen
Senioren wünschen sich große Buttons, starke Kontraste zwischen den Farben und ein Menü mit möglichst wenigen Ebenen. Nicola Röhricht [Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren, BAGSO]: „Die Bedienungsanleitung auf Papier ist ein Bedürfnis.“ Anglizismen kommen in der Altersgruppe nicht cool, sondern werden oft nicht verstanden: „Der Schrittzähler macht da mehr Sinn als der Fitnesstracker.“ […] Und auch im Internet suchen Senioren vor allem soziale Kontakte. Sie sprechen mit der Familie, schließen neue Bekanntschaften oder finden einen Partner.
Besonders wichtig ist der Kontakt zu den Enkeln: „Die sind eine große Motivation den Schritt ins Internet zu wagen“, sagt Röhricht. Hier zeigt sich ein großer Unterschied zu jüngeren Generationen. Senioren haben meist kein Interesse daran, grundsätzlich zu lernen wie man mit Programmen wie Skype umgeht, aber großes Interesse daran zu lernen, welche Knöpfe sie drücken müssen um ihre Enkel anzurufen. Ein weiterer Unterschied: Alles, was die Eingabe von Daten erfordert, ist Senioren nach wie vor suspekt. Während das Interesse am Online-Shopping zunimmt, wird Online-Banking nach wie vor wenig genutzt.
Die Skeptiker
Das generelle Misstrauen gegen Überwachung und Dateneingabe zeigt sich bei einem Vortrag zum Thema Smartphone, veranstaltet vom Senioren Internet Café Anschluss im Frankfurter Westend. […] Die Fragen der Senioren drehen sich fast ausschließlich um Datensicherheit und Überwachung durch das Smartphone. Keiner im Raum hat selbst schlechte Erfahrungen gemacht, aber jeder hat schon etwas über die Gefahren gelesen. […] Menschen, die nicht im Internet sind, fühlen sich ausgeschlossen und dumm. Das Internet ist für sie ein verschlossener Raum, zu dem sie keinen Zugang finden. Eine digitale Spaltung, die, vor allem aber nicht nur, Senioren betrifft. […] Da sich das Internet stetig wandelt, kommt es auch vor, dass gerade Senioren irgendwann wieder aussteigen. Um diese Menschen nicht auszuschließen, „sollte das Analoge nicht wegfallen“, wünscht sich Nicola Röhricht.
Die Unerfahrenen
Wer den Schritt in die digitale Welt wagen will, noch mobil ist und in Ballungszentren lebt, hat gute Chancen, passende Angebote zu finden. Doch was ist mit Senioren, die nicht mehr mobil sind oder in dünn besiedelten Gebieten leben? Zwei Faktoren, die oft zusammenfallen. Und erschwerend kommt hinzu: Senioren leben überdurchschnittlich oft in Landkreisen mit niedriger Breitbandverfügbarkeit. […] Die Landkreise, die diese Übertragungsraten nur selten erreichen, sind gleichzeitig die Landkreise mit dem höchsten Anteil über 65-Jähriger an der Gesamtbevölkerung. […]
Wenn die Internetverbindung schlecht ist, ist der Standort für Firmen unattraktiv. Wenn es aber keine Jobs gibt, ziehen junge Menschen weg und in Folge wandern Ärzte und Einkaufsmöglichkeiten ab. Es bleiben die Alten, die wenig Lobby haben und kein besseres Internet einfordern. Und das gerade in Gegenden, in denen Senioren besonders von den Möglichkeiten des Internets profitieren könnten. Wenn die Wege zu Ärzten oder Supermärkten immer länger werden, können Telemedizin und Online-Shopping weiter ein eigenständiges Leben ermöglichen. […]
Was Jüngere von klein auf lernen, ist für Menschen über 65 Jahre eine unbekannte Welt, die Unsicherheiten hervorruft. Internetcafés für Senioren wie das Café Mouseclick sind Anlaufstelle und Mutmacher. Einfach durch Ausprobieren ins Internet zu finden gelingt nur den Wenigsten, auch da im Alter Ängste zunehmen, während die Bereitschaft sich auf Neues einzulassen sinkt. […] „Wir stecken viel Geld in die Digitalisierung an den Schulen, aber was bleibt für die älteren Menschen?“ Ein Problem das sich gerade auch bei Altenheimen zeigt. […]
Die Zukunft
An der Hochschule Kempten forschen die Fakultäten Elektrotechnik und Soziales & Gesundheit in einem „AAL Living Lab“ zu den Möglichkeiten einer digitalisierten Wohnung im Alter. […] So aufgerüstet ist die Wohnung für Senioren eine Chance, länger in der eigenen Wohnung zu leben. […]
Während sich Smart-Home-Anwendungen für Senioren eignen, die keine Pflegestufe haben, setzen Politik und Wirtschaft auch im Bereich der Pflege auf die Digitalisierung. In Zukunft sollen Pflegeroboter einfache Tätigkeiten übernehmen und den angespannten Arbeitsmarkt in der Pflege entlasten. Der Bereich der Smart-Home-Anwendungen entwickelt sich rasant weiter. […]
In der jungen bis mittleren Altersgruppe nutzte nur gut jeder fünfte Smart-Home-Anwendungen, Tendenz mit zunehmenden Alter leicht steigend. Ein Grund dürfte sein, dass Angebote wie Amazons Alexa oder eine Sprachsteuerung der Wohnung für Studenten und Berufsanfänger noch zu teuer sind. Bei den Senioren ab 65 Jahren geht die Quote noch weiter zurück, nicht einmal jeder Zehnte nutzt Smart-Home-Technik. Doch egal wie schnell die Senioren im Bereich Smart Home aufholen, der digitalen Welt zu entkommen wird schon heute immer schwieriger. Was heute noch kleine Hilfen im Alltag sind, könnte schon bald helfen länger selbstständig zu leben oder den Ärztemangel auf dem Land abzufedern. Smart-Home, E- Health und Online-Shopping sind die Versprechen eines selbstständigen Lebens bis ins hohe Alter. Doch in der sich rasant wandelnden digitalen Welt auch eine Verpflichtung: Nicht nur für die heutigen Senioren, sondern auch für die nachfolgenden Generationen bekommt der Begriff des lebenslangen Lernens im digitalen Zeitalter eine neue Dimension.“
©Text: FAZ, 15.11.2019 | ©Foto: Matt Bennett auf Unsplash